Unterbrechung der Hauptwasserleitung
Autor: Johannes Böhm
Die Unterbrechung der städtischen Hauptwasserleitung beim Einsturz der Innbrücke 1929
Einführung
Im März 1929 brachte ein Eisstoß die Wasserburger Innbrücke teilweise zum Einsturz. Dabei riss auch die städtische Hauptwasserleitung, die über die Brücke führte, und schnitt die Wasserburger Altstadt von der Versorgung mit Quellwasser ab. Da die Wasserversorgung der Bevölkerung mit Grundwasser allein nicht sichergestellt werden konnte, errichtete die Stadt unmittelbar nach dem Brückeneinsturz eine Notleitung aus Feuerwehrschläuchen. Die Behelfskonstruktion erwies sich entgegen aller Befürchtungen als äußerst zuverlässig und blieb über mehrere Monate im Einsatz, bis mit dem Neubau der Innbrücke auch die neue Hauptwasserleitung in Betrieb genommen werden konnte.
Der Eiswinter 1928/29 und die angespannte Versorgungslage in Wasserburg
In den ersten Monaten des Jahres 1929 herrschten in Bayern konstant niedrige Temperaturen von zum Teil weit unter -20 Grad, die selbst die großen Flüsse komplett gefrieren ließ. Der Inn war zeitweise auf einer Länge von etwa 70 Kilometern von einer geschlossenen Eisdecke bedeckt. In Wasserburg gefroren und barsten zahlreiche Wasserleitungen. Wie der Wasserburger Anzeiger im Februar und März mehrfach berichtete, waren manche Häuser für Wochen von der Wasserversorgung abgeschnitten.[1]
Diese Situation verschärfte sich zusätzlich, nachdem der Eisstoß auf dem Inn in Bewegung geraten war und die aufprallenden Eismassen am 9. März das äußerste Brückenjoch am rechten Flussufer weitgehend zerstört hatte. Die durchhängende Fahrbahn machte die Brücke für den Personenverkehr unbenutzbar und ließ eine der beiden Wasserleitungen abreißen, die unterhalb der Fußwege beidseits der Fahrbahn über die Brücke führten. Die Leitungen versorgten die Altstadt seit 1888 mit sauberem Quellwasser aus der Nähe von Evenhausen. Erst vier Jahre zuvor, im Juni 1925, war die alte hölzerne Leitung durch zwei neue gusseiserne Leitungen ersetzt worden.[2] Die Versorgung der Altstadt konnte nach dem Eisstoß zunächst auch mit nur einem Leitungsstrang weiter aufrechterhalten werden. Da sich die Brücke jedoch immer stärker absenkte, drohte jederzeit auch die verbliebene zweite Leitung zu reißen und die Stadtteile am linken Flußufer komplett von der Hauptleitung abzuschneiden.
Angesichts dieser Gefahr, in der ohnehin angespannten Versorgungslage auch noch die wichtigste Wasserzufuhr zu verlieren, begannen in der Stadt eilige Vorbereitungen auf den Notfall. Beim Elektrizitätswerk wurde eine elektrische Grundwasserpumpe installiert und ans Leitungsnetz angeschlossen. Obwohl kurz zuvor entnommene Proben die gute Qualität des Grundwassers bestätigt hatten, mehrten sich jedoch schon bald Zweifel, ob das Grundwasser wirklich geeignet sei, um die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Am 27. März warnte der Wasserburger Anzeiger unter dem Titel Um die Wasserversorgung in unserer Stadt eindringlich vor den Kloakenpfützen am Innufer mit ihrem pestilenzialischen Gestank und ihrem ekligen Verwesungsschimmer, aus denen Verwesungsstoffe ins Grundwasser sickern könnten.[3] Das Risiko, die Bevölkerung im Fall der Fälle wirklich dieser potentiellen Gefahr auszusetzen, sollte die Stadt nach Meinung der Zeitung lieber nicht eingehen und entsprechende Vorsorge treffen, falls auch noch die zweite Leitung über die Brücke reißen sollte.
Die Notleitung aus Feuerwehrschläuchen
Als mögliche Lösung nannte der Wasserburger Anzeiger dann sogleich auch die Option, ein Seil über die beschädigte Brücke zu spannen und die verbliebene Wasserleitung daran aufzuhängen. Vielleicht noch besser, weil bruchsicherer, wäre die Überbrückung der Gefahrstrecke durch Feuerwehrschläuche, die natürlich ebenfalls aufzuhängen wären, unterfangen von Dachrinnen oder Rohrstücken.[4] Es mutet wie eine Fügung des Schicksals an, dass die Zeitung diesen Vorschlag nur wenige Stunden vor dem endgültigen Kollaps der Innbrücke publizierte. In der Nacht vom 27. auf den 28. März gab der durchhängende Teil der Fahrbahn nach und stürzte in den Inn. Er riss dabei auch die verbliebene Wasserleitung mit sich. Noch in der Nacht des Einsturzes seien daraufhin Feuerwehrschläuche über den Inn gespannt worden, um die Altstadt weiterhin mit sauberem Quellwasser versorgen zu können. So berichtete es zumindest der Wasserburger Anzeiger.[5]
In einer Eingabe der Stadt Wasserburg an den Bayerischen Landtag ist hingegen vermerkt, dass der zweite Leitungsstrang über die Brücke bereits am 22. März gerissen und durch eine Schlauchleitung ersetzt worden sei. Diese Behelfskonstruktion reiche jedoch auch mit Unterstützung durch die Grundwasserpumpe kaum aus, um die Gebäudlichkeiten im höher gelegenen Stadtteil […] darunter die Staatserziehungsanstalt, das Bezirksamt, das Amtsgerichtsgefängnis und das Messungsamt zuverlässig mit Wasser zu versorgen.[6]
Es muss an dieser Stelle offen bleiben, ob die Stadtverwaltung oder der Wasserburger Anzeiger das richtige Datum für das Abreißen der zweiten Wasserleitung nannten. Es wäre durchaus möglich, dass die Zeitung erst verspätet vom Reißen der Leitung erfuhr und dieses daher fälschlicherweise mit dem Brückeneinsturz in Verbindung brachte, als die nun freihängende Schlauchleitung sichtbar wurde. Es wäre jedoch auch denkbar, dass die Stadtverwaltung in ihrer Eingabe an den Landtag die Situation kritischer schilderte, als sie war, um ihrem Anliegen nach einem Brückenneubau noch mehr Gewicht zu verleihen. Unstrittig dürfte zumindest sein, dass unmittelbar nach dem Abreißen der Rohrleitung als Ersatz eine Schlauchleitung über den Inn gelegt wurde, um die Altstadt zumindest teilweise weiter mit Quellwasser versorgen zu können. Die zunächst provisorische Konstruktion wurde in den kommenden Wochen durch ein Drahtseil verstärkt, das auf einer Länge von 140 Metern über den Inn gespannt wurde. Unterhalb des Drahtseils waren Schlaufen angebracht, in denen nebeneinander vier Schlauchleitungen lagen. Auf diese Weise scheint eine ausreichende Wasserversorgung der Stadtteile am linken Innufer möglich gewesen zu sein. In den Quellen finden sich keine weiteren Hinweise auf Wassermangel oder Unterversorgung in größerem Ausmaß.
Die provisorische Wasserleitung aus Feuerwehrschläuchen blieb über mehrere Monate rund um die Uhr im Einsatz. Da sich die Konstruktion als leistungsfähig erwies, nutzte die Stadtverwaltung den Brückenneubau auch gleich dazu, die Rohrleitungen über die Brücke grundlegend zu modernisieren und an veränderte Anforderungen anzupassen. So wurde nicht nur ein größeren Leitungsdurchmesser eingeplant, sondern auch ein Hydrant auf der Brücke, um Brände zukünftig auch von der Flussseite aus bekämpfen zu können. Zudem sollten die Rohre mit Korksteinschalen isoliert werden.[7].
Am 6. Juli 1929 konnte schließlich der erste Teil der neuen Wasserleitung über die Innbrücke in Betrieb genommen werden, woraufhin die nun überflüssig gewordene Notleitung aus Feuerwehrschläuchen zügig abgebaut wurde. In den Augen des Wasserburger Anzeigers hatte die Behelfskonstruktion wirklich gute Dienste getan und mehr geleistet, als selbst die Schlauchfabrik zuzusichern sich getraute.[8]
Die Notleitung als Verkaufsargument für Seilermeister Franz Koloseus aus Wasserburg
Die für die Notwasserleitung eingesetzten Feuerwehrschläuche der Marke Tabaria waren vom Wasserburger Seilermeister Franz Koloseus geliefert worden. Nachdem die Schläuche den mehrmonatigen Dauereinsatz zur allgemeinen Überraschung schadlos überstanden hatten, wollte Koloseus diesen Umstand alsbald auch als Werbeargument für sein Spezialgeschäft für Feuerlösch-Ausrüstungen nutzen. Er trat daher einige Monate nach dem Abbau der Behelfsleitung an die Stadt Wasserburg heran und bat um eine Bestätigung dieser außergewöhnlichen Leistung. Das Wasserburger Stadtbauamt entsprach seiner Bitte und überreichte Koloseus Ende Januar 1930 ein Zeugnis, in dem es die hervorragende Qualität der verwendeten Schlauchleitungen herausstellte. Diese hätten sich in Bezug auf Dicht- u. Haltbarkeit über alle Erwartungen vorzüglich bewährt, so dass diese Qualität zur Verwendung bestens empfohlen werden kann.[9]
Das Zeugnis hat sich zusammen mit einer Werbebroschüre von Franz Koloseus in den Akten des Stadtarchivs erhalten. Beides kann wohl als sicheres Zeichen dafür gesehen werden, dass der so folgenschwere Einsturz der Innbrücke ein gutes halbes Jahr nach Eröffnung der neuen Brücke von den Beteiligten als weitgehend überwunden angesehen wurde. Zumindest bestanden wohl keinerlei Bedenken mehr, den Brückeneinsturz und dessen Folgen nun als werbewirksames Verkaufsargument einzusetzen. Ob das Zeugnis des Stadtbauamtes Franz Koloseus wirklich zu besseren Geschäften verhalf, geht aus den städtischen Akten jedoch nicht hervor.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Böhm, Unterbrechung der Hauptwasserleitung, publiziert am 22.03.2021 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg, URL: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Unterbrechung_der_Hauptwasserleitung (29.12.2024)
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- ↑ Vgl. bspw. Wasserburger Anzeiger, 20.2.1929, Titelseite und Wasserburger Anzeiger, 7.3.1929, Titelseite.
- ↑ Vgl. Rink, Wasserburger Baugeschichten, 38.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 27.3.1929, Titelseite.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 27.3.1929, Titelseite.
- ↑ Vgl. Wasserburger Anzeiger, 29./30.3.1929, Titelseite.
- ↑ Eingabe des Stadtrats Wasserburg a. Inn an den Bayerischen Landtag, 22.3.1929, BayHStA, Landtag 14177.
- ↑ Vgl. StadtA Wasserburg a. Inn, II1679./ Wasserburger Anzeiger, 13.6.1929, Titelseite.
- ↑ Wasserburger Anzeiger, 9.7.1929, Titelseite.
- ↑ Zeugnis des Stadtbauamtes für Seilermeister Franz Koloseus, 31.1.1930, StadtA Wasserburg a. Inn, II1679.