Revolution und Arbeiterrat

Aus Historisches Lexikon Wasserburg
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Revolution und Arbeiterrat in Wasserburg am Inn - Ausführliche/Alt. Überschrift

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Autorenzeile

Einführung



Am 11. November 1918 endet in ganz Europa der Erste Weltkrieg. Auch in Wasserburg forderte der „Große Krieg“ seine Opfer: 124 Wasserburger fielen an der Front, die Versorgungslage in der Stadt war durch die britische Seeblockade, wie im ganzen Land, schlecht.[1] An eine Rückkehr zur Normalität der Vorkriegszeit unter der Herrschaft von König und Kaiser war nicht mehr zu denken. Schon zwei Tage früher, am 9. November, war in Berlin zwei Mal die Republik ausgerufen worden, sowohl von dem Sozialdemokraten Phillip Scheidemann als auch dem Kommunisten Karl Liebknecht.[2] In Bayern war die Revolution sogar noch einmal zwei Tag schneller, das Land wurde bereits am 7. November von Kurt Eisner zum Freistaat erklärt.[3] In Folge dieses revolutionären Umbruchs kam es überall im Reich zur Gründung demokratisch gewählter Gremien zur Vertretung gewisser Gesellschaftlicher Gruppen und Schichten: die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte. Auch in der Stadt Wasserburg gründet sich am 10. November 1918 ein Arbeiterrat.[4] Im Folgenden sollen nun sowohl die Tätigkeit des Arbeiterrates in Wasserburg als auch der Verlauf der Revolution in der Stadt beleuchtet werden.


Verlauf der Revolution in Wasserburg am Inn

Bereits am 10. November, als die Revolution in vielen Landesteilen noch gar nicht angekommen war, fand in Wasserburg gegen 9 Uhr bereits eine Versammlung der Arbeiterschaft statt. Auf Anregung des Vorsitzenden der freien Gewerkschaften in Wasserburg, Simon Heigenmoser, sollte ein Arbeiterrat für die Stadt gewählt werden.[5] Heigenmoser selbst wurde in den Vorsitz diese Gremiums gewählt, dem neben sieben Mitgliedern der Arbeiterschaft auch drei "Bürgerliche“ beiwohnen durften. Die öffentliche Verwaltung stand zu diesem Zeitpunkt zumindest offiziell bereits geschlossen hinter der neuen Republik.[6] Die einzige nennenswerte Opposition fand sich in Form eines Anschlags, in dem anonym die Loyalität zum alten Regime betont wurde. Dies ist der einzige Hinweis auf einen Rest monarchistischer Gesinnung in der allgemeinen Bevölkerung, die sich im reaktionären Wasserburger Anzeiger finden lässt. Zwischen Arbeiterrat und den etablierten Behörden kam es dagegen von Anfang an zu Konflikten. So wollte der Arbeiterrat gleich nach der Gründung zwei Mitglieder mit dem Auto zum Innenministerium nach München schicken – Der der Bezirk Wasserburg weigerte sich jedoch das dafür benötigte Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. [7]

Beschlossen wurde daraufhin nicht mit Gewalt vorzugehen, und mit der Bahn nach München zu fahren.[8]   

Auch sonst zeigte sich der Bezirk Wasserburg gegenüber dem Arbeiterrat erst nicht sonderlich Kkooperationswillige. So ging beim Zentralrat in München am 4.1.1919 folgende Beschwerde der Wasserburger Genossen ein:

Wir haben allen Anlass zu nehmen, dass bei hiesigem Bezirksamte folgende Ansicht herrscht: Der Arbeiterrat Wasserburg Stadt hätte in Dinge nichts hineinzureden, die den Bezirk bezw. den Distrikt beträfen, weil dieser Arbeiterrat nur für den Stadbez. bestellt worden sei.[9]    

Der Zentralrat stellte dem Arbeiterrat Wasserburg daraufhin eine Vollmacht bis zur Bildung eines Bezirksarbeiterrates aus. Der Bezirk knickte ein: Am 14. Januar geht eine offizielle Einladung für die Teilnahme an den Sitzungen vom Bezirksamt an den Arbeiterrat.[10] Ansonsten war der Alltag im Rätesystem zumindest in Wasserburg zuerst eher unspektakulär. Der Arbeiterrat arbeitete, wie alle anderen Behörden im Freistaat auch, fieberhaft daran die Folgen von Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit einzudämmen, die nach dem Krieg die Bevölkerung plagten.

Hugo Bayer bei der Arbeit in den 1990er Jahren.

Aufgaben und Tätigkeit des Arbeiterrates bis zum Februar 1919

Seine Aufgaben definierte der Arbeiterrat gegenüber dem Wasserburger Anzeiger folgendermaßen:

Sie [die Arbeiterräte] sind Berufsparlamente, befugt, unmittelbar gesetzgeberische Vorschläge zu machen. Sie sollen aber auch Aufsichtsorgane […] sein, […] sich mit der Tätigkeit der Regierung beschäftigen, nicht als Vollzugsorgane, sondern als Kontrollorgane, als kritische Organe.[11] 

Dieses Selbstverständnis deckte sich nur teils mit einem Gesetzesvorschlag, der zur Institutionalisierung der Räte Ende Januar auf einer Konferenz, bei der auch Vertreter des Wasserburger Arbeiterrates anwesend waren, erarbeitet wurde. Darin hieß es:

Die A.-& B. [Bauern] Räte wahren die gesamten Interessen des arbeitenden Volkes. Sie haben keine gesetzgebende oder vollziehende Gewalt. Sie entsenden nach Bedarf Vertrauensmänner in die öffentlichen Körperschaften und Behörden, um dort Wünsche und Beschwerden des arbeitenden Volkes zu vertreten. Die Zentralräte […] haben das Recht, […] , dem Landtage Gesetzentwürfe zu unterbreiten und sie im Landtage durch einen Vertreter zu begründen.[12]
 

Es war also Vorgesehenvorgesehen, die Räte in einer fast ausschließlich beratenden Funktion beizubehalten. Von einer kontrollierenden Funktion gegenüber den etablierten Institutionen war zu diesem Zeitpunkt bereits keine Rede mehr. Tatsächlich gibt es auch nur ein Beispiel für die konkrete Ausübung einer Kontrollfunktion. Zur Neubesetzung einer vakanten Stelle im Kommunalamt hieß es vom Arbeiterrat Wasserburg am 15.12.1918:

Gerüchteweise verlautete, dass ein naher Verwandter des Herrn Setzinger für diese Stelle in Aussicht genommen sei. Eine derartige Besetzung könnten wir nur als Provisorium betrachten.[13] 

Bei dem genannten Setzinger handelte es sich um den damaligen Vorsitzenden des Kommunalverbandes. Auf diesen höflich formulierten Vorwurf der Vetternwirtschaft reagierte der Bezirk Wasserburg mit einer Bestätigung, dass ein Bruder von Setzinger[14] die Stelle temporär ausfüllen würde und gab als Grund einen Mangel an Alternativen an.[15] Darauf sendete der Arbeiterrat dem Bezirksamt eine kurze Liste mit ähnlich qualifizierten Kandidaten.[16] Der Ausgang dieser Streitigkeit ist unklar, auch ob die Vorwürfe der Vetternwirtschaft im Bezirksamt zutrafen wird heute kaum geklärt werden können. In seinen anderen Tätigkeitsbereichen war der Arbeiterrat dagegen aktiver. Zur Verbesserung der Versorgungslage, vor allem mit Fleischwaren, brachte der Arbeiterrat gleich mehrere Vorschläge ein. So sollten die vier Metzger der Stadt verpflichtet werden, sich zu einer einzelnen GmbH zusammen zu schließen, um Schlachtung, Produktion und Verkauf besser koordinieren und planen zu können.[17] Vor allem das Anstehen für Lebensmittel schien für die Wasserburger Bevölkerung ein großes Ärgernis gewesen zu sein. Für manche stellte es anscheinend sogar ein gesundheitliches Risiko dar:

Erst kürzlich fiel eine ältere Frau bei[m] Warten vor einem Metzgerladen um.[18] 

Zum Zweck der Verteilung schlug der Arbeiterrat ein System von Kundenscheinen vor. Außerdem sollten laut der Pläne alle Lebensmittelmarken auf einmal ausgegeben und von Jugendlichen verteilt werden.[19] Auf eine tatsächliche Umsetzung dieser Vorschläge durch Bezirk[20] oder Magistrat gibt es keine Hinweise. Zeitungsartikel oder Antworten der benachrichtigten Behörden liegen (Stand Juli 2024) nicht vor. Die Markierungen auf den eingereichten Dokumenten legen jedoch zumindest nahe, dass sie von den Behörden zur Kenntnis genommen wurden, wenn auch nicht mehr. Auch am Kampf gegen Schmuggel und Unterschlagung von Lebensmitteln beteiligte sich der Arbeiterrat. Dazu vermeldet der Arbeiterrat im Wasserburger Anzeiger:

Jeden Tag können unsere Patrouillen feststellen, daß große Koffer und Kisten Lebensmitteln […] weggebracht werden.[21] 

Zusätzlich zu den eigenen Patrouillen wurde dabei auch mit dem Bezirksamt und der örtlichen Gendarmerie zusammengearbeitet.[22] Der umfangreichste Tätigkeitsbereich des Rates umfasste allerdings die Vertretung des der Interesses Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Einzelpersonen konnten sich mit ihren Problemen an den Arbeiterrat wenden, woraufhin dieser ihre Positionen bei den offiziellen Stellen und Behörden vertrat. So befand sich der Postbote Matthias Berger aufgrund einer Kriegsverletzung im zeitlichen Ruhestand, trotz seines Wunsches wieder im Postdienst eingesetzt zu werden. Er wendete sich an den Arbeiterrat, der sich daraufhin in einem Schreiben an die Oberpostdirektion in Landshut für ihn einsetzte.[23] Auch der Aushilfskraft Maria Doubze, die ursprünglich aus Italien kam und zu dieser Zeit im Amtsgericht Wasserburg angestellt war, drohte die Entlassung und damit die Arbeitslosigkeit. Der Arbeiterrat setzte sich deswegen für sie beim bayerischen Staatsministerium für Justiz für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für zwei Monate ein, jedoch mit unbekanntem Resultat.[24] Zuletzt war der Rat auch an der Beseitigung des Wohnungsmangels in der Nachkriegszeit beteiligt. In Berichten des Rates über die Wohnungssituation an den Stadtmagistrat heißt es:

In Reitberg, Gde. Rammerberg ist der Fall vorgekommen, dass eine arme alleinstehende Arbeitersfrau mit ihren kleinen Kindern genötigt war, lange Zeit u. heute noch im Hausgang eines Hauses zu wohnen u. da wird sie nur gutwillig geduldet.[25]  

und

Es ist vorgekommen, dass gewinnsüchtige Vermieter (allerdings nur sehr vereinzelt) ganz übertriebene Preise für ihre Wohnungen verlangt haben.[26] 

Um Probleme wie diese zu lösen brachte der Rat verschiedenen Lösungsvorschläge vor die Verwaltungsbehörden von Bezirk und Stadt. Um gegen Wucher bei den Vermietern anzukämpfen wurde eine städtische Wohnungskommission zur Mietkontrolle vorgeschlagen.[27] Auch die temporäre Beschlagnahmung von leerstehendem Wohneigentum wurde vorgeschlagen.[28] Zudem wurde der Beginn des Baus von vier Pflegerhäuser für die Klinik Gabersee angeregt, die bereits länger geplant und bewilligt waren, wobei diese Maßnahme tatsächlich umgesetzt wurde.[29] [30] Der Arbeiterrat war also bemüht, auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens in Stadt und Umgebung Einfluss zu nehmen und dabei die Situation vor allem der unteren Bevölkerungsschichten zu verbessern. Aufgrund mangelnder Befugnisse hatte er bei seinen Forderungen jedoch allem Anschein nach wenig tatsächliches Durchsetzungsvermögen.[31] Der politische Einfluss des Rates war bis zum Februar 1919 immer abhängig von den etablierten lokalen Behörden und den Beschlüssen der Regierung in München.

Landtagswahlen vom 12. Januar 1919

Am 12. Januar 1919 fanden in Bayern die ersten freien Landtagswahlen statt. Mit dem Sozialdemokraten Simon Reile kandidierte auch einer der beide Vorsitzenden des Wasserburger Arbeiterrates für den Landtag. Wahlergebnisse in Wasserburg (Bezirk) im Vergleich zum Gesamtergebnis[32] :


MSPD USPD DVP BVP Bauernbund Mittelstandspartei Bund der Unteroffiziere
Stimmen 1708 14 425 3226 4287 2 28
Anteil in % 17,6 % 0,1 % 4,4 % 33,3 % 44,2 % 0,0 % 0,2 %
In ganz Bayern (%) 33,0 % 2,5 % 14,0 % 35,0 % 9,1 % 5,8 % (zusammen mit Nationalliberalen -


Im landwirtschaftlich geprägten Bezirk Wasserburg war der Erfolg des Bauernbundes keine Überraschung. Mit 889 Stimmen war die SPD in der Stadt Wasserburg selbst die stärkste Kraft. Die USPD konnte in Wasserburg kaum Wähler überzeugen, wie im Rest von Bayern schnitten die Unabhängigen katastrophal schlecht ab. Dieses Ergebnis machte die Position Kurt Eisners (USPD) als Ministerpräsident von Bayern unhaltbar. Als dieser am 21. Februar 1919 seinen Rücktritt erklären wollte, wurde er auf dem Weg zum Landtag von einem Rechtsradikalen ermordet.[33] Dieses Ereignis sollte auch für die Stadt Wasserburg noch beträchtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Die Revolution kommt (wieder) nach Wasserburg

Nach der Ermordung Eisners blieb es in Wasserburg erste einmal ruhig, abgesehen vom Überflug eines Flugzeuges, das politische Flugblätter über der Stadt abwarf, die die Tat verurteilten.[34] Vier Tage nach der Tat trafen die Unruhen dann Wasserburg. Der Vorsitzende des Rosenheimer Soldatenrates, Guido Kopp, rückte am 25. Februar mit seiner Miliz in Wasserburg ein und besetzt die Stadt. Der Wasserburger Anzeiger berichtete ausführlich über die Ereignisse:

Wir haben eine zweite Revolution durchzumachen und diese hat nun auch [hier eingesetzt]. Am Dienstag in den Morgenstunden erschienen bei uns etwa vierzig Mitglieder des Rosenheimer Soldatenrates, bewaffnet mit Gewehren. Sie besetzten zuerst die Aemter, auch Realschule und Schülerheim. Der Stadt bemächtigte sich eine gewisse Aufregung, und in Trupps stand die Bevölkerung, um in mehr oder minder großer Erregung die neue Lage zu besprechen. Im Übrigen aber nahm das Publikum das ungewohnte Bild ruhig hin. Abgesehen von der Zitierung einiger Personen aufs Rathaus –mitunter aufgrund gewissenloser Angebereien- geschah zunächst nichts. Die Stadt war bis in den entlegensten Teil besetzt und die „bewaffnete Macht“ wuchs ständig, da als Gegengengewicht auch der hiesige A.- u. S.-Rat die Arbeiter bewaffnete.[35]


Abb.1: Der Vorsitzende des Rosenheimer Soldatenrates und selbsternannte „Diktator““ Guido Kopp spricht vom Balkon des Wasserburger Rathauses zu den versammelten Wasserburger und Rosenheimer Arbeitern. [Rathaus Bild, auch in Baumgartner/Grund im Abschnitt zu Wasserburg]


Darauf folgte ein Demonstrationszug durch die Stadt zu Ehren Kurt Eisners und eine Rede von Kopp vom Balkon des Rathauses aus. Darin kündigte er seine weiteren Maßnahmen für die Stadt an. Die Mitglieder des Magistrats Weber und Rieperdinger mussten ihre Ämter niederlegen, die bereits der Vetternwirtschaft bezichtigten Gebrüder Setzinger sollten, genau wie der Rentier Riezoldi und die weiblichen Hilfskräfte, aus den Kommunalbehörden entlassen werden und durch Kriegsteilnehmer ersetzt werden. Stadtsekretär Lindner und Bezirksamtssekretär Löffler sollten sich dagegen für ihr Verhalten bei den unteren Bevölkerungsschichten entschuldigen. Auch aus dem Arbeiterrat sollten nach Vorstellung Kopps die Räte Meisterbauer und Unterauer ausscheiden. Nach dieser Erklärung zogen die Rosenheimer schließlich gegen Abend ohne weitere Komplikationen wieder aus Wasserburg ab.[36] Als Reaktion wurde vom Arbeiterrat in Wasserburg eine Stadtkommandantur unter dem Stadtkommandanten Dr. Gartenhof errichtet.

Wasserburg unter Darstein und das Ende des Rates

Sowohl offiziell als auch in internen Protokollen gab der Arbeiterrat von Wasserburg an, von den Aktionen der Rosenheimer überrascht worden zu sein. Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden.[37] [38] In seinem Protokoll der Sitzung, die am Tag nach der Besatzung durch Rosenheim stattfand und bei der noch Vertreter aus Rosenheim anwesend waren heißt es aber auch, dass man die Demonstration schließlich unterstützt habe. Dennoch stellte sich der Arbeiterrat Wasserburg klar auf die Seite der gemäßigten Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), gegen die linksrevolutionäre USPD und den kommunistischen Spartakusbund und jede Diktatur, „sei sie von oben oder von unten“[39].

Der herrschende Soldatenrat von Rosenheim wurde in dieser Sitzung zu einer Untersuchung der Ereignisse des Vortages aufgefordert; es sei zu Ausschreitungen wie Plünderungen durch Rosenheimer gekommen und schlimmeres sei nur durch die bewaffnete Arbeiterschaft Wasserburgs verhindert worden.[40] Sämtliche Amtsenthebungen wurden auch kurze Zeit später vom Vollzugsrat in München für nichtig erklärt, die abgesetzten Magistrate kehrten dennoch nicht in ihre Ämter zurück. Seit dem 26. Februar stand die Stadt Wasserburg unter Belagerungszustand. Die Räte verzeichneten dabei einen eindeutigen Gewinn an Macht und Bedeutung innerhalb der Stadt. Der Wasserburger Anzeiger stand unter Zensur des Soldatenrates, die Räte bestimmten zudem über die Polizeistunde und die Zulassung von Tanzveranstaltungen.[41] Insgesamt schien die Lage sich wieder zu stabilisieren, auch im Rest Bayerns. In München fand zum Zeitpunkt des Rosenheimer Übergriffes ein Rätekongress statt, auf dem Wasserburg durch den Obersekretär Meier vertreten war. Radikale Maßnahmen, wie die Ausrufung einer Räterepublik, in der die Räte die Regierungsgewalt übernommen hätten, wurden dabei mehrheitlich abgelehnt, die mehrheitssozialistische Line schien sich bei den meisten Räten durchzusetzen.[42] Dennoch verschärften sich die Spannungen zwischen der MSPD und Linkssozialisten.

Am 7. April 1919 wurde in München vom Zentralrat die „Baierische“ Räterepublik ausgerufen. Die Regierung unter Ministerpräsident Hoffmann (MSPD) floh aus der Stadt und bezog Quartier in Bamberg. Die neue Räteregierung, die sich aus Schriftsellern, Anarchisten und Pazifisten zusammensetzte plante umfassende soziale Reformen, die sich in der Realität wegen der Gegenmaßnahmen der Regierung Hoffmanns und eines Boykotts bei der Versorgung Münchens durch die Bauern nicht umsetzen ließen.[43] Dennoch schlossen sich viele Städte zumindest formal der Räterepublik an, so auch Wasserburg. Zur Verkündung der Räterepublik gab es einen halben Feiertag, zudem wurde der verschärfte Belagerungszustand über die nun räterepublikanische Stadt verhängt.[44] Für den Zeitraum vermerkte der Schriftführer des Arbeiterrates im Nachhinein:

In diesem Heft ist nicht alles verzeichnet, was sich seit Beginn der Revolution, besonders seit 7.4, dem Tage der Ausrufung der Räterepublik in Bayern ereignete.[45] 

Laut diesem Nachtrag soll ab diesem Zeitpunkt der Vorsitzende des Soldatenrates, der Gefreite Ernst Friedrich Darstein, in Wasserburg die Macht übernommen haben. Außer Rang und Namen ist über Darstein nur bekannt, dass er am 10. Oktober 1884 in Straßburg geboren wurde, von Beruf Kaufmann war und am 2. April 1919 zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kinder die bayerische Staatsangehörigkeit erhielt.[46] Er war seit dessen Gründung Mitglied des Wasserburger Soldatenrates. Vom Schriftführer? wird Darstein vorgeworfen, den Arbeiterrat als „ein Mäntelchen für die gesetzlichen und ungesetzlichen Handlungen, für alle Miss- und Übergriffe“ zu missbrauchen. Dabei sagt er Darstein eine linksradikale Gesinnung nach, was sich allerdings mit einer vorherigen Stelle widerspricht, in der er behauptet, Darsteins Verhalten hätte auch den Kommunisten in München „Anlaß zum Einschreiten“ gegeben. Auch legt er nahe, dass Darsteins Bezeichnung als „Kommunist“ nur Selbstdarstellung war. Ferner kritisiert er die „oft maßlose Eitelkeit“ des Gefreiten, die diesen angeblich zu seinen Taten trieb. Darstein soll dabei für den Belagerungszustand und die „damit Verbunden Schikanen“ verantwortlich gewesen sein, dazu gehörten unter anderem eine strikte Sperrstunde und ein Verbot öffentlicher Versammlungen für die Wasserburger Einwohner. Auch soll Darstein mit dem Rosenheimer Soldatenrat unter Kopp zusammengearbeitet und „Bestrebungen, Privateigentum unter dem Deckmantel der Sozialisierung sich anzueignen“ unternommen haben.[47] Dieser Vermerk des Schriftführers ist die einzige detaillierte Quelle über Darsteins wirken Wirken in Wasserburg. Im Wasserburger Anzeiger finden sich lediglich die Hinweise auf die Zensur durch den von Darstein geleiteten Soldatenrat. Hinweise auf eine Umsetzung der aus München für die Räterepublik angeordneten Maßnahmen gibt es nicht. Am 12. April druckte der Wasserburger Anzeiger bereits eine Stellungnaheme der Regierung Hoffmann ab, in der die Illegitimität der Räteregierung bekräftigt wurde.[48] Einen weiteren Schritt in Richtung der Opposition gegen den Zentralrat unternahm der Arbeiterrat mit der Duldung der Bewaffnung der Bürgerschaft am 14. April durch den Bezirksbauernrat, angeblich zum Schutz vor Raub und Plünderungen.[49] Diese Einwohnerwehr rückte mit 70 Mann gegen Rosenheim vor, mit dem Ziel die dortige Räteherrschaft unter Kopp zu beenden.

Dies wurde durch das Scheitern eines Putschversuchs durch Regierungstreue Truppen in München allerdings vereitelt, die Wasserburger mussten erfolglos in die Heimat zurückkehren.[50] In München kam es bedingt durch den Umsturzversuch zu einer zweiten Räterepublik, diesmal unter der Führung der kommunistischen Partei, der KPD. Nach dieser Eskalation holte sich Ministerpräsident Hoffmann Hilfe von der Reichsregierung, die ihn mit dem regulären Militär und größtenteils rechtsextremen Milizen, den sogenannten Freikorps, unterstütze. Nach dem Führungswechsel in München wandten sich die meisten Ortschaften von der Räterepublik ab und suchten den Schulterschluss mit der Regierung Hoffmann in Bamberg. Andere gaben nach der Konfrontation mit den Regierungstruppen schnell auf, so dass bald nur noch wenige „rote“ Hochburgen wie München selbst, Rosenheim und Kolbermoor übrig waren.[51]


Die immer ausweglosere Lage sorgte dafür, dass der Zentralrat der Räterepublik Eugen Levine, Wilhelm Reichart und Karl Petermoser mit einem Flugzeug Richtung Budapest schickte, um bei der dortigen Räteregierung um Unterstützung zu bitten. Am 20. April mussten sie allerdings bei Wasserburg notlanden, da ihr Pilot einen Motorschaden vortäuschte, und wurden anschließend mit dem Auto nach München zurückgebracht.[52] [53] Am Tag darauf wurde in Bamberg die Aufstellung eines eigenen Freikorps für Wasserburg beschlossen, um an den Kämpfen gegen die Räterepublik teilzunehmen. Oberleutnant Heinrich Schneider, der dieses „Freikorps Wasserburg“ anführen sollte traf am 22. April in der Stadt ein. Dort erfuhr er von Bürgern von der Herrschaft Darsteins, was ihn dazu veranlasste Verstärkung aus Passau hinzuzuziehen, die am 25. April in Form von zehn Regierungssoldaten eintraf. Der Soldatenrat Darstein überließ dem neugebildeten Freikorps daraufhin 300 Gewehre und 8 MG, trotz seiner angeblich „roten“ Gesinnung. Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Noch am selben Tag wurde in Wasserburg eine Volksversammlung abgehalten, bei der Dr. Gartenhof als Stadtkommandant bestätigt und mit der Aufstellung des Freikorps begonnen wurde.[54] Die Tätigkeiten des Arbeiterrates wurden mit der Ankunft der Regierungstruppen weitgehend eingestellt.[55]

Das "Freikorps Wasserburg" und das Ende der Revolution

Das neugebildete Freikorps hatte mit nur 40 Freiwilligen bis zum 27. April wenig Zulauf. Durch eine große Anzahl von Webeveranstaltungen und die Unterstützung des Stadtkommandanten Gartenhof konnte seine Popularität in der Bevölkerung allerdings mit der Zeit gesteigert werden. Seinen ersten Einsatz hatte es in Gars:

Am 27. ds. Mts. wurden angehörige der hies. Volkswehr, die einen Garser Einwohner zur Vernehmung nach Wasserburg verbringen sollten, von dortigen Einwohnern entwaffnet und festgehalten. […] Unter diesen Umständen war das Wasserburger Freikorps zur gewaltsamen Befreiung seiner Mitbürger gezwungen. Der erste Transport des Freikorps stieß auf bewaffneten Widerstand […].  Nach kurzem Feuergefecht, in dem es leichte Verwundungen auf Seiten der Garser gab, erbaten die Garser Verhandlungen.

Am 29. April stießen weitere Rotgardisten von Rosenheim nach Rott in Richtung Wasserburg vor. Dieser Angriff konnte allerdings auch ohne Unterstützung des Wasserburger Freikorps zurückgeschlagen werden. Bei den anschließenden Verhandlungen mit der Rosenheimer Schutztruppe führten allerdings dennoch Stadtkommandant Gartenhof und Oberleutnant Schneider das Wort. Die vereinbarten Kapitulationsbedingungen für Rosenheim konnten allerdings unter anderem wegen Widerstands von Seiten Kopps nicht eigehalten werden, weshalb es zu einer gewaltsamen Besetzung von Rosenheim unter der Beteiligung des Freikorps Wasserburg kam, das dabei auch in Gefechte verwickelt wurde und Verluste zu beklagen hatte. Die Rosenheimer mussten sich schließlich geschlagen geben, Kopp wurde mit seinen Unterstützern vor Gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Vom 1. bis zum 3. Mai wurde München von Regierungstruppen gestürmt. In den Gefechten und dem darauffolgenden „Weißen Terror“, bei dem es zum Teil zu willkürlichen Erschießungen von Zivilisten durch Regierungstruppen kam, starben bis zu 1.200 Menschen. Mit der Kapitulation von Kolbermoor endete schließlich die Räterepublik in Bayern. Ihre Anhänger erwarteten hohe Strafen, so auch 46 Wasserburger und Rosenheimer, die am 14. Juni in Traunstein vor dem Volksgerichtshof standen. Das Freikorps Wasserburg mit zu diesem Zeitpunkt 650 Mitgliedern wurde am 8. Mai aufgelöst und in das reguläre Kader Infanterie Regiment 44 überführt. Einen letzten Auftritt hatte es mit dem Besuch von Reichswehrminister Noske in Wasserburg am 3. August, der die Rolle der Einwohnerwehren bei der Niederschlagung der Revolution in Deutschland lobte.


Abb. 3 Reichswehrminister Gustav Noske (3.v.l), auch bekannt als der „Bluthund“ zusammen mit den Anführern der bayrischen Einwohnerwehren zu Besuch in Wasserburg. [Bild Noske, u.a. in Wasserburger Anzeiger] Der Rätegedanke spielte nach dem gewaltsamen Ende der Revolution in Wasserburg und Bayern keine Rolle mehr. Der politische Alltag wurde, vor allem im ländlichen Raum, von der antidemokratischen „Ordnungszellenpolitik“ der Bayrischen Volkspartei (BVP) bestimmt. Kommunisten tauchten hier nur noch als (oft antisemitische) Feindbilder auf.


  1. Rink, Erster Weltkrieg.
  2. Scriba, Revolution von 1918/19.
  3. Grau, Revolution, 1918/19.
  4. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  5. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  6. Wasserburger Anzeiger, 12.11.1918.
  7. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  8. Der Arbeiterrat Wasserburg an den Zentralarbeiterrat München, Bitte um Hilfe bei Kooperation mit Bezirksamt, Schreiben vom 4.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  9. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  10. Bezirksamt Wasserburg an den Arbeiterrat Wasserburg, Einladung zur Teilnahme an Sitzungen, Schreiben vom 14.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  11. Wasserburger Anzeiger, 21.12.1918.
  12. Tagung der Arbeiter- und Soldatenräte Bayerns, Sammlung zur Tagung vom 13.2.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9120.
  13. Arbeiterrat Wasserburg an Bezirksamt Wasserburg, Beschwerde über Besetzung einer Stelle, Schreiben vom 15.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  14. Die Gebrüder Setzinger waren im Beruf beide Kaufmann: Franz Setzinger, *1877 in Megentheim und Paul Setzinger, *1889 in Megentheim. Der jüngere Bruder wurde im Dezember 1918 vom Militär entlassen und kam aus Berlin/Charlottenburg nach Wasserburg; der ältere Bruder zog bereits 1915 zu.
  15. Bezirksamt Wasserburg an Arbeiterrat Wasserburg, Eingehen auf Beschwerde wegen Besetzung einer Stelle, Schreiben vom 24.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  16. Arbeiterrat Wasserburg an Bezirksamt Wasserburg, Vorschlag zur alternativen Besetzung einer Stelle, Schreiben vom 6.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  17. Arbeiterrat Wasserburg an Bezirksamt Wasserburg, Antrag zur Abänderung des Verteilungsmodus von Fleisch & Wurstwaren, Schreiben vom 1.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  18. Arbeiterrat Wasserburg an Kommunalverband Wasserburg, Antrag auf Einführung von wöchentlicher Versorgungsperiode, Schreiben vom 15.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  19. ebd.
  20. Fussnote muss noch ergänzt werden!!!!
  21. Wasserburger Anzeiger, 15.3.1919.
  22. Arbeiterrat Wasserburg an die Gendarmerie Station Wasserburg, Hinweis auf Schmuggel von Lebensmitteln, Schreiben vom 20.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  23. Oberpostdirektion Landshut an den Arbeiterrat Wasserburg, Auskunft über den Status eines ehemaligen Postboten, Schreiben vom 14.4.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  24. Arbeiterrat Wasserburg an das Staatsministerium der Justiz, Bitte um Beibehalten einer Hilfskraft, Schreiben vom 10.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  25. Arbeiterrat Wasserburg an den Stadtmagistrat Wasserburg, Hinweis auf den Wohnungsmangel und Empfehlungen zu dessen Bekämpfung, Schreiben vom 17.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  26. Arbeiterrat Wasserburg an Stadtmagistrat Wasserburg, Antrag auf die Bildung einer Wohnungskommission, Schreiben vom 2.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  27. ebd.
  28. Arbeiterrat Wasserburg an den Stadtmagistrat Wasserburg, Hinweis auf den Wohnungsmangel und Empfehlungen zu dessen Bekämpfung, Schreiben vom 17.12.1918, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  29. Arbeiterrat Wasserburg an die >Regierung des Volksstaates, Antrag auf Baubeginn bei Pflegerhäusern, Schreiben vom 24.1.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  30. Wasserburger Anzeiger, 25.2.1919.
  31. Fussnote noch ergänzen !!!
  32. Fussnote noch ergänzen!!!!
  33. Fussnote noch ergänzen!!!
  34. Wasserburger Anzeiger, 25.2.1919.
  35. Wasserburger Anzeiger, 1.3.1919.
  36. Baumgartner/Grund, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, S. 568.
  37. Erklärung an die Bevölkerung des Bezirks Wasserburg, Zeitungsausschnitt vom 26.2.1919, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  38. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  39. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  40. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  41. Wasserburger Anzeiger, 4.5.1919.
  42. Fussnote noch ergänzen!!!
  43. Fussnote noch ergänzen!!!
  44. Wasserburger Anzeiger, 10.4.1919.
  45. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  46. Fussnote ergänzen!!!
  47. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.
  48. Wasserburger Anzeiger, 12.4.1919.
  49. Wasserburger Anzeiger, 14.4.1919.
  50. Baumgartner/Grund, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, S. 569.
  51. Fussnote ergänzen!!!
  52. Baumgartner/Grund, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, S. 569.
  53. Wasserburger Anzeiger, 26.4.1919.
  54. Baumgartner/Grund, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, S. 569.
  55. Protokollbuch Arbeiter-Rat Wasserburg, 08.12.1920, StadtA Wasserburg a. Inn, II9119.